Monday, December 24, 2007

Leiden

Wie reagiere ich, wenn ich Leid sehe? Da wird ein Mann gefoltert, geschlagen und ans Kreuz geheftet. Ich bin entsetzt. Eine innere Stimme ruft Nein. Lasst das. Tut ihm nicht weh.

Ich möchte diesem Menschen in Not helfen. Schlimmer wird es, wenn Menschen sich Schmerzen zufügen, um mir damit zu helfen. Wie fühle ich mich dann? Hallo, möchte ich ihm sagen. Lass das, ich komme zurecht, ich bin erwachsen, ich kann die Verantwortung für mein Leben selber tragen.

Durch seine Schmerzen, die er wegen meines Daseins auf sich nimmt, wird mir eine Schuld aufgebürdet. Ich möchte nicht in der Schuld von Menschen stehen. Anders rum ist es mir fast lieber. Wenn Andere mir einen Gefallen schulden.

Eine Schuld gegenüber einem Toten zu haben ist noch unheimlicher. Ich kann ja nichts mehr zurückzahlen. Wie soll ich diese Schuld, um die ich nicht gebeten habe, je zurückzahlen? Das deprimiert mich, denn es ist eine unlösbare Aufgabe.

Unlösbar, nein nicht ganz. Wozu fühle ich mich veranlasst? Ich kann in die Kirche gehen, spenden, Beiträge zahlen. Ist das vielleicht die Absicht Jesus Christi gewesen, als er für unsere Sünden starb? Nur zu seiner Zeit gab es noch keine Kirche. Ich verstehe ihn so, dass er den Menschen beibringen wollte, sich mit Liebe zu begegnen.

Wenn andere Menschen in meiner Gegenwart leiden, dann möchte ich ihnen beistehen. Damit bin ich manipulierbar. Es ist ein Knopf auf den gedrückt werden kann. Deswegen finde ich für meinen Alltag einige Regeln sinnvoll.

Ich frage mich: Ist mein Gegenüber in einer wirklichen Leidenslage, oder spielt er mir eine Geschichte vor? Im ersten Fall helfe ich, im zweiten Fall bewerte ich die gelungene Darbietung.

Ist der Leidende bereit sich selbst zu helfen oder ist er selbstzerstörerisch aus Leidenschaft? Wer sich selbst nicht helfen will, ist ein Fass ohne Boden. Ich kann mich bis an das Ende meiner Kräfte verausgaben, die Hilfe wird keine Wirkung zeigen. Der Helfer wird selbst zum Hilfefall. Hier gibt es kein Allgemeinrezept. Hilfe zur Selbsthilfe ist ok. Alles andere muss man Organisationen überlassen, die mehr schultern können, als ein einzelner Mensch.

Ergibt sich aus der Hilfe eine langfristige Verpflichtung? Dann liegt der Verdacht auf Ausnutzung nahe. Ich prüfe, ob ich langfristig helfen will daran, ob die Hilfe wiederum Hilfe zur Selbsthilfe ist und wenn ja, ob Helfen für mich ein Weg mit Herz ist, den ich langfristig gehen möchte.

Meiner Meinung nach, brauchen wir einen sozialen Staat, der es den liebevollen Menschen gestattet zu helfen, ohne sich zu übernehmen. Einen sozialen Staat, der die Hilfe leistet, wo ein Einzelner überfordert ist, der all die zur Leistung (über Steuern) mit heranzieht, die sich dem Anblick menschlicher Not besser verschließen können. Dafür bin ich gerne bereit Steuern zu zahlen.

Im Falle eines Toten bin ich nicht in der Lage zu helfen. Kirche in der modernen Zeit sollte sich meiner Meinung nach an den Lebenden orientieren und an der modernen Ethik arbeiten, wie z. B.
Die Ächtung von Management-Ideologien, die zum Arbeitsplatzabbau trotz Gewinn führen.
Die Ächtung von Kriegen, die auf Lügen beruhen, Stichwort Irak Krieg.
Die Ächtung von Vergewaltigungslagern, Stichwort Bürgerkrieg in Jugoslawien.
Die Ächtung von rechtlosen Gefängnissen, Stichwort Guantanamo.
Die Ächtung der Ausgrenzung von Arbeitslosen und anderen Minderheiten.

Die Liste kann beliebig erweitert werden. Ihr gemeinsames Prinzip ist das Eine. Wenn wir Menschen leiden sehen, dann sollte der Einzelne im Rahmens seiner Kräfte und Neigungen helfen und für den Rest muss der Staat, müssen Organisationen eintreten.

2 comments:

Anonymous said...

Hui Ray, meinen Nerv getroffen!!
Muss ich doch noch etwas dazu hier lassen:

In der Schuld eines Anderen stehen mag ich auch nicht! Was da über lange Zeit schon den Menschen eingeimpft wird, finde ich zum Fürchten. Diese Schuld tragen, die ich aber doch gar nicht real "in Schuld" bin.. Das kann ich einfach nicht nachvollziehen.
Ja, die Welt ist schlecht, sagt man. Dennoch habe ich, nur weil ich Mensch bin mich so versündigt, dass ich "zu Kreuze kriechen" muss?(ist überspitzt gesagt, ich weiß)
Damit ist schon viel Geld gemacht worden. Der Urgedanke aber entgeht wohl vielen Menschen.

Da ich im therapeutischen Bereich tätig bin sehe ich auch, dass nur Hilfe zur Selbsthilfe etwas bringen kann.Ohne das Zutun meiner Patienten selbst geht nichts.

Helfen möchte ich nicht aus einem Helfersyndrom heraus, bei dem ich mich aufgebe. Vielmehr möchte ich z.B. unterstützen, weil ich denke, dass ich etwas zu geben habe. Ich bin bereit zu teilen, weil es eben meinem Naturell entspricht. Es geht mir gut damit, wenn ich weiß, dass das was ich abgebe, jemandem viel bringen kann. Aber das muss ich schon gesichert wissen.

Mmmhh, ich denke Ray, ich stimme dir vollumfänglich zu!(*lächel, das musste ich mal so sagen/schreiben)

Ray Gratzner said...

Hallo logopiene, schön das Du wieder da warst. Ich denke Dein Kommentar ist eine weitere Bereicherung zu dem Thema und danke, da Du ihn gemacht hast. Frohe Weihnachten