Monday, January 7, 2008

Aus dem Nachlass eines jung Verstorbenen, der nicht an das Grab seiner Großmutter väterlicherseits eilte

Liebe Mutter!

Ich schreibe diesen Brief nicht um Dich anzuklagen oder zu verletzen. Ich schreibe diesen Brief, damit Du verstehst, was in mir vor sich geht. Dieser Brief ist zum Teil nicht an Dich gerichtet sondern an die Frau, die Du mal vor Jahren gewesen bist. Jedes einzelne Wort ist mir ernst und es täte mir leid, wenn du es einfach von Dir weisen würdest, bloß weil es in unserer Familie nicht üblich ist, die Dinge beim Namen zu nennen oder über seine Gefühle zu reden.

Ich bin drei Jahre alt gewesen. In diesem Alter lernte ich mich finden und die Welt zusammenhängender zu begreifen. Kindermund tut Wahrheit kund. Genauso erfasste ich intuitiv die Stimmung der Leute, die mich umgaben. Ich liebte dich damals sehr und wünschte mir auch wiedergeliebt zu werden. Ich spürte aber bei Dir mir gegenüber eine ständige Gereiztheit und Ablehnung. Du konntest mich damals nicht annehmen wie ich war, sondern Du warst trotzig. Du fühltest Dich von mir vereinnahmt. Wenn ich hingegen beobachtete wie Du Marcel und Armande behandeltest, konnte ich eine solche Gereiztheit nicht empfinden. Weiß der Himmel warum Du gerade auf mich schlecht zu sprechen warst, als ich gerade in dieser wichtigen Phase war.

Die ständige Zurückweisung tat mir weh. Was konnte ich dafür, dass ich auf der Welt war? Eines Morgens nahm ich meinen Mut zusammen und fragte Dich, ob Du mich lieb hättest. Du warst irritiert und wolltest offensichtlich davon nichts hören. Du willst oftmals unangenehme Dinge nicht hören. Für mich war die Frage sehr wichtig - um nicht zu sagen überlebenswichtig. Denn so ein kleiner Wurm braucht das Gefühl geliebt zu sein oder er stirbt. Ich versuchte also verzweifelt Dir meine Gefühlsnot zu offenbaren aber Du wurdest ärgerlich, drehtest Dich um und sagtest, "Das bildest du dir ein." Als Du das Zimmer verlassen hattest, war ich unfähig, mich zu bewegen. Über eine Stunde habe ich auf dem Fleck gestanden und konnte mich nicht rühren. Dass Du mich so behandelst und ich mir alles einbildete entwickelte sich in meinem Kopf so, dass ich ein böser Mensch bin, der Dir böse Gefühle zumisst, die Du gar nicht hattest.

All diese negativen Gefühle waren mir entsprungen, wenn ich Dir glauben sollte. Ich wollte aber liebenswert sein. Diesen Widerspruch hielt ich nicht aus. Noch am gleichen tage bekam ich Fieber und wurde krank. Als die Krankheit vorüber war, fing ich an all das zu tun, was mich für Dich wohl liebenswert machte. Ich gab meine kindliche Welt, die ohne Liebe unerträglich war auf, zugunsten einer Scheinwelt, wo ich mich bemühte so zu sein, dass Du mich lieben könntest. Damals habe ich mich verloren. Aber das Allein gelassen werden in meiner Not, das hatte sich unauslöschlich in die Tiefe meiner Seele gebrannt.

Dann war da noch mein Bruder Armande, der aus Angst log. Ihr habt ihm Angst gemacht und weil er sich nicht zutraute gegen euch zu bestehen, log er. Ihr habt ihm soviel Angst gemacht, dass er auch heute mit dreißig Jahren noch lügt.

Bruder Armande hatte ein Lieblingsspiel als ich klein war. Er hat mir gegenüber demonstriert, dass er besseren Zugang zu Dir hatte, als ich. Wir Kinder haben alle um Deine Liebe gekämpft. Er machte sich einen Spaß daraus mir meine Ohnmacht Dir gegenüber zu beweisen.

Als ich fünf Jahre alt war, beschwerte sich Frau Müller, dass ihr eine Fahrradbirne fehlte. Du kamst zu uns ins Wohnzimmer und fragtest wer die Birne - Preis 15 Pfennig - genommen hätte. Armande sagte, dass ich es gewesen sei. Ich sagte, "Ich war es nicht." Der Lügner Armande rächte sich wieder dafür, dass er als Größter mehr Verantwortung tragen musste als der Kleinste. Du glaubtest Armande und mir nicht, denn ich war für Dich nicht glaubwürdig.
Ich weiß nicht wie lange Du mit dem Teppichklopfer auf mir herum gedroschen hast (nebenbei ist das ein Signal der Liebe?) jedenfalls gestand ich gedemütigt und verletzt, was ich nicht getan hatte. Meine Glaubwürdigkeit war dahin. Mir blieb nichts andere übrig, als ein Clown zu werden, denn dazu hattet ihr mich gemacht und Du hast mich ein absolutes Gefühl der Ohnmacht erleben lassen. Doch ohne Liebe kann ein Kind nicht leben und so vergaß ich.

Du wolltest damals keine Kritik hören, weil Du Angst vor negativen Sachen hattest. So hast Du die Unfähigkeit des Vaters vorgeschoben, um von Dir abzulenken. Er war der Buhmann, weil er respektlos, unverständnisvoll uns Kindern gegenüber und ein großer Egoist war.

Und Armande hat es mir demonstriert, dass ihm geglaubt wurde und nicht mir. Er hat mich leiden lassen und keiner hat mir geglaubt.


Doch all das ist vergeben und vergessen. Als jetzt die Oma starb, da verlangtest Du ich sollte zur Beerdigung kommen und wieder einmal war es Dir egal, was ich empfand. Für Dich zählt nur, was man muss. Du musstest immer. Aber für mich zählt, was man fühlt und ich bin kein kleines Kind mehr, das sich für alles die Schuld in die Schuhe schiebt, Was Du nicht akzeptieren kannst, ist das ich ein Wesen mit eigenen Gefühlen und Empfindungen bin. Statt dessen kommst Du mir mit meinem Vater. Mein Vater, der Zeit seines Lebens nichts anderes zu tun hatte, als seine Kinder zu verarschen, um sich selber in seinen unbefleckten Erwachsenenhimmel zu erheben.

Er hat nie Rücksicht auf meine Gefühle genommen und wenn ich ihn mal gebraucht hätte, dann war er nicht da. Als Vater hat er versagt. Seine Mutter hat er vernachlässigt und sie durch seine merkwürdigen Verhaltensweisen - er hat ihr immerhin das Haus unter dem Hintern wegverkauft, während sie im Krankenhaus lag - um einige Jahre ihres Lebens gebracht. Er hat mir nichts vorzuwerfen.

Wie Du siehst gibt es keinen Grund zu streiten, lass' uns also vertragen.

1 comment:

Die Große Vorsitzende said...

Die Gefühle kann ich nachvollziehen. Den Text fand ich allerdings an einigen Stellen nicht so ganz leicht zu verstehen. No offense.