Saturday, January 24, 2009

Das Juwel


Eine reiche Dame machte sich auf dem Weg zum Pfandleiher. Als sie in der Nähe des Geschäftes angekommen war, wurde sie unschlüssig und ging an der Tür des Geschäftes vorbei. Sie lief schnell. Sie schien mit sich selbst zu reden. Bis sie plötzlich halt machte und auf direktem Wege zum Laden zurückkehrte.

Sie trat ein, eine altmodische Klingel signalisierte dem Ladenbesitzer, dass neue Kundschaft eingetroffen war. Der Pfandleiher kam in den Verkaufsraum, ein älterer Mann Mitte fünfzig. Er musterte die Dame von oben bis unten, dann setzt er ein unechtes Lächeln auf und begann das Verkaufsgespräch. „Werte Dame, was führt sie zu mir? Was darf ich ihnen anbieten?"

Die Dame sah ihrerseits den Pfandleiher von oben bis unten an, schwieg, seufzte und redete schließlich leise und unverständlich.

"Entschuldigen Sie, aber ich verstehe sie wirklich nicht, wollen Sie kaufen oder verkaufen?"

"George, wie konntest du mir das antun?"

"Entschuldigung, wie haben sie mich genannt?"

"George habe ich dich genannt. Erinnerst du dich nicht mehr an mich?"

George setzte seine Brille auf, die er umständlich aus der Jackentasche hervornestelte. "Irma, du bist es."

"Ja, George ich bin es und auf den Tag vor 25 Jahren habe ich dir ein Juwel zur Leihe gegeben."

George wurde bleich. "Irma", stammelte er.

Irma zog einen angegilbten Beleg aus der Tasche und reichte ihn George. George nahm in betreten in die Hand und betrachtet das Papier.

"Ich war wie besprochen 20 Tage später wieder da, um das Juwel auszulösen, doch du warst fort. Dein Laden war fort. Mein Geliebter war fort. Erinnerst du dich nicht der Nacht zuvor, als wir uns leidenschaftlich geliebt haben und ich dir von meinen Geldproblemen erzählte."

"Ich erinnere mich nur zu gut Irma, glaub' mir, ich habe dich seit jener Nacht nie vergessen und es verging kein Tag in den letzten 25 Jahren, an dem ich nicht zum Himmel gebetet habe, er möge uns wieder zusammenführen."

Sie zog mit einer schnellen Bewegung den Beleg aus seiner Hand. "Wie rührend. Wenn man bedenkt, dass wir nur knappe zwanzig Meilen voneinander getrennt leben.“

Er nickte. „Nicht immer sind wir Menschen uns nah und können zueinander gehen. Ich war und ich bin in einer Zwangslage, die es mir nicht erlaubt, dir zu begegnen."

Sie zog eine kleine silberne Pistole aus ihrer Tasche. Er schluckt und fragt," willst du mich erschießen?"

"Wer weiß, wer weiß heute schon, was wir morgen tun, nicht wahr? Wir wollten einen Monat warten und heiraten, und ich hatte den Schmuck aus dem Familienbesitz genommen, ohne die Erlaubnis meiner Eltern. Sie waren entsetzt, als sie merkten, dass das Juwel weg war, den es fehlte bei der monatlichen Kontrolle. Meine Eltern haben mich enterbt und das gesamte Geld einer Tierschutzstiftung vermacht. Wie findest du das George?"

George wischt sich den Schweiß von der Stirn. "Ich hatte keine Ahnung, bitte Irma versteh' doch."

"Was soll ich verstehen George?"

Er richtete sich auf. „Ich musste jemand anderen heiraten und brauchte dein Juwel, schließlich schuldetest du mir etwas."

"Überschätzt du deine Leistungen als Liebhaber nicht ein wenig?", erwiderte Irma kühl.

"Komm mit, ich zeige dir jemanden, dann wirst du verstehen." Er winkt sie hinter sich her. "Aber leise", warnend legt er die Finger auf den Mund. Sie gingen in den Nebenraum, wo eine Frau in schwarzer Kleidung apathisch auf einem Stuhl saß und schaukelte. Ihr Blick war auf einen großen Kristallglasaschenbecher gerichtet.

"Wer ist das?"

"Das ist Consuela, sie ist verrückt. Sie bekommt nicht mit was wir hier sagen, aber sie brachte ein Kind zur Welt, von meinem Bruder. Er hatte sie geschwängert und sich aus dem Staub gemacht. Sie verlor aus Liebeskummer den Verstand. Du weißt“, er richtete sich auf, ich bin der älteste Sohn der Familie. Ich musste für die Ehre der Familie eintreten. Ich musste Consuela heiraten. Ich zog zwei Töchter auf, die mittlerweile aus dem Hause sind.“

Er deutete auf ein Familienbild, auf dem zwei lachende Kinder, ein lachender George und eine abwesend wirkende Consuela zu sehen waren."

„Das heißt, du hast unsere Liebe und mein Erbe deiner Familienehre geopfert?"

"Ja, jeden einzelnen Tag, den ich Consuela gewaschen, angezogen und gefüttert habe, jeden Tag, an dem ich ihre Tränen wegwischte, habe ich mir gewünscht, bei dir zu sein. Es war alles so schwer.“

George fing hemmungslos an zu weinen. Er stützte sich auf Irma, sein Kopf verschwand in der Mulde ihres Dekolletes und er weinte hemmungslos. Die Bluse wurde zunehmends feuchter, während Consuela teilnahmslos auf die Wachsdecke des Tisches schaute.

Irma stieß George unsanft von sich. "Ist schon gut. Ist ja gut." Sie sahtangewidert aus.

George setzte sich zu Consuela und weinte noch ein wenig weiter. Irma lief in dem Zimmer auf und ab, dann steckt sie die Waffe wieder ein.

George bemerkte das aus den Augenwinkeln und sein Schluchzen ebbte ab. Er sah auf. "Aber arm scheinst du nicht zu sein?"

Sie schaute ihn an. "Nein, an dem Tag, als ich vor deinem Laden stand, um wie versprochen den Schmuck wieder auszulösen, da stand ich aufgelöst und heulend vor deinem leeren Ladenlokal. Ein junger Mann wurde auf mich aufmerksam, und er tröstete mich, vorsichtig, liebenswürdig. Ich fühlte mich wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel auf einer schützenden menschlichen Hand. Ängstlich und hilflos zugleich. Er war ein bisschen wie du. Er nahm mich Häufchen Elend unter seine Fittiche und schon wenig später wurde ich seine Geliebte, weil meine Enttäuschung grenzenlos war. Zuerst dachte ich, ich wollte mich an dir rächen, als ich mich ihm hingab, aus einer Mischung von Wut, Verzweiflung und Sinnlosigkeit heraus, doch dann merkte ich, wie ich diesen Mann liebte, als sei ich mit dem Gefühl seiner Haut, seinem Geruch, seiner Art zu reden schon jahrelang vertraut."

"Er fand einen Weg, meinen Eltern zu erklären, dass du mich reingelegt hast und ich wurde wieder in das Erbe eingesetzt. Und er hat mir immer versprochen dich zu finden, damit ich mich an dir rächen könnte. Von ihm habe ich deine Adresse hier bekommen und auch die Waffe und ein Alibi. Ich liebte dich so sehr, dass ich dich tot sehen wollte."

Die Ladenklingel ging. Schritte näherten sich und ein Mann erschien im Zimmer.

"Irma ist er tot. Nein, er lebt ja noch?"

"Ja, Luis, meine Rache ist mir nicht mehr wichtig."

"Henry, Du?!"

Irma blickt zwischen George und Luis hin und her. "Die Herren kennen sich?"

"Das ist mein Bruder Henry, der Consuela sitzen gelassen hat. Du Schwein. Und du glaubst, dass er dir ein Alibi gegeben hat?" George atmete heftig, seine Augen zwinkerten.

"Bist du sein Bruder Luis? Bist du es?", ihrr Augenbrauen waren weit hochgezogen.

"Ja, ich bin es."

"Aah", George stürzte vorwärts, doch Henry hielt schon einen Revolver in der Hand.

"Ganz ruhig mein Guter, du gehst jetzt mit Irma zur Wand dort, und legst deine Hände um ihren Hals und mach schnell, denn ich habe einen ungeduldigen Zeigefinger, verstehst du?

George nickte. Er und Irma gingen zur Wand, derweil Henry näher auf Consuela zuging. Er schaute ihr ins Gesicht, aber sie schaute weiter nur teilnahmslos auf die Wachsdecke.

„Sie hat immer noch dieses einfältige Gesicht. So richtig Bewegung kam da nur rein, wenn ich mit ihr im Bett war.“ Henry gab ihr mit der Knarre einen kleinen Stoß, denn wendete er sich George und Irma zu.

"Für euch beide wird es ein Happy End". In der Ferne waren Polizeisirenen zu hören. „Ich muss mich beeilen, denn ich habe die Polizei bereits benachrichtigt, dass ich Schüsse gehört habe. Ihr zwei im Tod vereint, wo ihr euch so geliebt habt. Ist das nicht schön? Rührend. George lege bitte deine Hände um ihren Hals!“

Irma drückte die Hände zornig weg und blies eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Jetzt verstehe ich alles. Die Vertrautheit, die ich empfand, dass war, weil du sein Bruder warst, es war die Familienähnlichkeit. Du wusstest, dass dein Bruder sich um Consuela kümmern würde. Du wusstest, wer ich war und was ich brauchen würde.“

„Ja, ich wusste es, und glaube mir, jeder Tag mit dir war die Hölle, was glaubst du, wie liebenswert so eine reiche Göre ist, die sich für den Nabel des Universums hält und ist doch nur eine kleine mittelmäßige....“, er suchte nach Worten, „....Schlampe.“

Irma fiel der Unterkiefer runter. Dann richtete sie sich trotzig auf. „Dann schieß’ doch, du bist erbärmlich.“

George stellt sich vor Irma und Henry grinste zynisch. „Der große Bruder, edel und moralisch bis in den Tod. Mir hast du keinen Raum mehr zum Atmen gelassen mit deiner guter Bruder Nummer. Dann sterbt und seid vereint im Tod.“

Es gab einen dumpfen Klang, dann brach Henry zusammen. Consuela hatte ihm den Aschenbecher auf den Kopf geschlagen. Er brach klaglos zusammen.

Consuela stand über ihm und Tränen liefen über ihr Gesicht. Irma und George umarmten sich während dessen die Polizei hereinstürmte. Ein Polizist beugte sich nieder, fühlt den Puls und schüttelte den Kopf.

Consuela, die seit Jahren nicht mehr gesprochen hatte, sagte:

„Die Liebe hast du mir versprochen

Viele Jahre ist es her

Mein Herz hast Du mir gebrochen

- nun lebst Du nicht mehr

Ich gab Dir all meine Liebe

Mein Herz und noch viel mehr

Du gabst mir Tränen und Hiebe

und innerlich bin ich nun leer

Dein Sarg wird mich trösten

Bei Tage und bei Nacht

Du warst einer der Bösten

Und ich hab' zuletzt gelacht...“

4 comments:

Anonymous said...

Lieber Rainer,
puh, die Geschichte ist spannend bis zum letzten Wort!!! Irma und George vereint - aber gibts ein Happy End? Für MICH ja, weil Consuela aktiv geworden ist, genau im richtigen Moment... Dennoch hinterlässt diese Geschichte gemischte Gefühle... ich werde sie noch mal im Kopf durchspielen...
Danke fürs Wachrütteln!
Herz-lichste Grüße von Elisabeth

Anonymous said...

wie gruselig, wieviel sinnloses Leid.
Gruß
Barbara

Ray Gratzner said...

Liebe elisabeth, gemischte Gefühle .... Danke für das Feedback spannend...der Alltag ist immer durchzogen mit kleinen Liebesdramen...Sonnige Grüße....

Ray Gratzner said...

Liebe barbara,

uih, als Gruselgeschichte war es eigentlich nicht ausgelegt, aber danke für das Feedback....Ja, warum immer das Leid in der Welt, das ist die Frage...LG Rainer...