Thursday, March 11, 2010

Ein Freund erzählt


Ich habe nie gewusst, dass ich sehen konnte, bis es mir das erste Mal passierte. Es erwischte mich unvorbereitet und ich wusste nicht wie mir geschah. Ich war spazieren gewesen. Die Sonntagssonne eines Spätsommers hatte mich gelockt und ich hatte mich gerade zur Ruhe auf einer Wiese ausgestreckt, als ich jedes Gefühl von Körperlichkeit verlor. Es gab mich nicht mehr. Da waren keine Gedanken an mich, dass es mich je gegeben hätte. Mit dem Hinlegen war meine Existenz ausgelöscht und meine egolose Aufmerksamkeit strömte ohne Ziel dahin. Ich versuchte Ordnung in meine Wahrnehmung zu bringen, doch Töne schmeckten, Helligkeit löste sich in dunkle Tropfen auf. Bin ich tot, dachte ich in Zeitlupe. Ich wusste das es dieser Gedanke war, aber er lief  in mir mit seiner eigenen Geschwindigkeit ab, unerklärbar und unverstehbar.

Dann lag ich wieder auf der Wiese und betrachte mich erstaunt. Zumindest der Gedanke war beendet. Nein ich war nicht tot, aber die Sonne am Himmel hatte sich fast hinter den Hügelkuppen verborgen.

In mir summte alles und all meine Erinnerungen waren so - körperlich? Ich wurde ganz merkwürdig traurig und weinte eine Weile, weil ich wusste, dass mir vor langer Zeit ein Teil abhanden gekommen war. Ich sah mich zusammen mit meiner Schwester spazieren gehen. Ältere Jungen kamen und sie beleidgten meine Schwester. Ich versuchte sie zu schützen und kämpfte gegen die Jungen an, aber sie demütigten mich und zeigten mir meine Ohnmacht. Damals ließ ich etwas von mir zurück an diesem Ort. Ich rief diesen Teil zurück und begriff, dass mein Verlust es gewesen war, der mich hatte sehen lassen.

Doch, das war ein Trugschluss, heute weiß ich was das Sehen ist. Mein Verlust war nicht wichtig. Ich war nicht wichtig. Wichtig war nur, dass ich mich all die Jahre vorbereitet hatte, offen gewesen war.

Das Sehen ist mir dann lange nicht wieder passiert, doch je älter ich wurde, umso häufiger kam es wieder. Und jedesmal wusste ich mehr als zuvor - doch nie wusste ich warum es genau dieses Wissen war.

Also Ray, zerbrich dir nicht deinen Kopf darüber Dinge gezielt zu sehen. Sondern versuche in allem gut zu sein, was dein Herz erfüllt, dann wird das Sehen eine Segnung sein.

Warum, wie könnte das einen Einfluss auf das Sehen haben?

Nun es macht einen Unterschied, ob du beständig mehr über die Geheimnisse von Trägheit, Ausruhen und unterschiedlichen Arten des Aufpustens von Egos lernst oder ob du mehr über die Geheimnisse erfüllter Herzen lernst.


Die Glut schmiedet mein Herz
aus der Asche entwischt
viel Kummer und Leid
Ach hätte mein Sehnen
Deinen Weg zu mir geführt

Wir hätten zusammen gelacht.
Ich über mein Grab
Und Du?
Über die Jugend des Vergessens

2 comments:

bruni kantz said...

Wohl dem,
der wahrhaft sehen kann,
denn was er sieht
ist Freude, inniges Verstehen
und auch das Leid kann er sehen.
Er wird es verstehen,
denn er sieht mit dem Herzen
und nur das Herz sieht,
wenn im Dunkeln Blumen erblühen.
Sonne, die heimlich scheint
in der Nacht
ist nur für Herzenssehen gemacht.

LG von Bruni, der Dein Kommentar bei Barbara sehr gefallen hat.

Ray Gratzner said...

Liebe bruni,

vielen Dank für diese in Worte gegossene Herzenssicht. Mit dem Herzen zu sehen wird immer schwerer in einer Welt, die die Aufmerksamkeit überall festbinden will nur nicht im Herzen...

LG Rainer