Tuesday, October 26, 2010

Rabenherz


Am frühen Morgen stieg der Rabe auf. Steil flog er in den Himmel, steigend, steigend - höher empor, bis die Welt klein unter ihm lag und die Kälte in der Höhe ihn frieren ließ.

Der Rabe genoß die Einsamkeit, genoß die Kälte und vergoss, wie er es seinem Vater einst versprochen hatte, eine Rabenträne, für die Vorfahren der Raben, die des Fliegens noch nicht mächtig gewesen waren und die ein härteres, erdgebundenes Dasein hatten führen müssen.

So wie der Vater es vorausgesagt hatte, gefror der Tropfen in der Luft, formte einen Kristall aus und schmolz wieder.  Der Rabe, der seiner Träne im Sturzflug auf die Erde begleitet hatte, prägte sich das Muster der Schneeflocke gut ein.

Das ist meine Form, die es nur einmal für einen Raben geben wird solange die Welt besteht.

Als er zur Erde zurückkehrte suchte der Rabe einen einzelnen Baum nahm Platz und stellte sich vor, zum Eiskristall zu werden.

Für einen Moment vergaß der Rabe ein Rabe zu sein. Er wurde eins mit dem Wasser, eins mit der Form und er sah die Welt in Eis getaucht. Bedeckt mit einer gewaltigen Eisschicht, die alles Leben am Boden verdrängt hatte.

In all dieser Ruhe spürte er das schlafende Herz der Erde, das sich nach dem Spielen und Treiben der Lebewesen sehnte, die in warmen  Zeiten über ihre Hügel, Berge, Täler, Seen und Auen gingen. Der Rabe spürte ein Teil des schlafenden Herzens zu sein. Dann wachte er auf.

Vom Baum aus konnte er eine Straße sehen auf der Menschen gingen. Er beobachtete sie und erfasste einen Feuerschein. Feuerige Herzen. Die Menschen sind Kinder des Feuers, sie folgen ihm, es nährt sie und es nutzt sie , um die Welt zu verbrennen. Der Rabe stellte erstaunt fest, dass keiner der Menschen um sein feueriges Herz wusste. Das, was den Raben vom Menschen unterscheidet, dachte der Rabe, ist, das wir Raben unser Herz kennen und erforschen. Wir stehen für Liebe und Sehnsucht nach einer Vielfalt des Lebens. Ein Mensch aber sieht nur einen Brennvorrat, wohin er auch schaut. Der Mensch tut so, als ob die Eiszeit nie geendet hätte.

Enttäuscht flog der Rabe auf, flog über die Stadt mit rauchenden Schornsteinen, die  Autobahn mit dampfenden Auspuffen, über Kraftwerke und abgeholzte Wälder.

Schließlich landete er auf einem Ast über einem schlafenden Mann, dessen Herz weit leuchtend brannte. Da schenkte ihm der Rabe sein Herz und dachte - mit einem Herzen fängt der Wandel an. Zufrieden schlief er ein.

7 comments:

Elisabeth said...

Liebster Rainer,

oh ja, mit einem Herz... eine wunderschöne Geschichte, ich bin bezaubert... Dankeschön!

Ein wundervolles Herbstwochenende für dich, Elisabeth

Anonymous said...

Raben sind halt Wegbereiter des Glücks und nicht, wie so oft behauptet, Vorposten der Hölle und Vorboten des Unglücks. Wenn alle Lebewesen doch so schlau wären...
Weiterhin ein erkennnisreiches Wochenende wünscht
Borelli

Gabaretha said...

Lieber Rainer,
glücklich, wer so einen Raben trifft.
Vielen Dank für die schöne und direkt ins Herz zielende Geschichte.
Herzensgrüße aus dem Isartal,
besser und besser,
Gaba

Ray Gratzner said...

Liebste Elisabeth,

ddanke für Deine Wünsche und eine wunderschönes Herbstwochenende habe ich auch erlebt.

Lass es Dir gut gehen
Liebe Grüße Rainer

Ray Gratzner said...

Lieber borelli,

Du müsstest eigentlich ein Verwandter der Raben sein. Deine Neigung zu schwarzer Kleidung, Dein waches Wesen, Deine Sehnsucht zu fliegen verraten dich.

Liebe Grüße Rainer

Ray Gratzner said...

Liebe Gaba,

die Artikel zur Liebe lese ich im Moement sehr gerne. Vielen Dank, dass du hier vrobei geflogen bist.

Liebe Grüße an die UltraMind Schwingungsebene
Rainer

Anonymous said...
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