Sunday, November 7, 2010

Kreisläufer


Im Traum ging der fromme Mann durch die Wüste. Ob die Wüste magisch, leer, vom Teufel bewohnt oder von Gott genutzt war, das beschäftigte ihn nicht. Demütig tat er seine Arbeit. Er zog seine Kreise von einer Stadt zur nächsten und hatte schon lange vergessen, welche Stadt der Anfangspunkt der Reise und welche Stadt das Ziel gewesen war. Da er immer wieder weiterzog, um seinen Handel zu treiben, war das belanglos geworden.

Sicher, da gab es seine Frau. Sie war hübsch, heiter, eine Oase schöner Gefühle und sein liebster Gedanke. Doch ob sie nun in jener Stadt oder dieser lebte, hätte für sein Leben keinen Unterschied gemacht, da er stets von Neuem aufbrach. So gab es keinen besonderen Ort mehr für ihn auf dieser Welt. Es gab nur die stete Reise durch die Wüste.



Dieser Traum schien anders zu sein. Er mochte jetzt vielleicht Jahre hintereinander geträumt haben, ohne je aufgewacht zu sein. Die Länge dieses Traums, die Unterbrechung im Kreislauf von Schlafen und Wachen machte ihn unruhig und besorgt. War er krank, hatte sich im Wachen etwas ereignet, dem er sich nicht mehr stelle wollte oder konnte. Während er dies dachte, verließ ihn jede Kraft in der Wüste. Er sank von seinem Kamel, das unbeirrt weiterzog, bis es am Horizont nur noch kleiner Punkt geworden war.

Die Stimme versagte ihm und seine Zunge hing am Gaumen. Seine Hände griffen in den heißen Sand, der Wind  roch nach gar nichts und demütig sprach er zu sich, "Gott, ist dies der Tag, an dem ich sterben soll?" Er war bereit sein Leben loszulassen, denn er hatte das Gefühl, alles bereits getan und alles erlebt zu haben, dass in seinem Wüstenleben möglich gewesen war.

Doch Gott antwortete nicht. Statt dessen versank er in der Erde, fand sich in einer dunklen feuchten Erde wieder und kam zurück an das Licht, als Oase. Er fand sich am Wasserloch sitzend vor und sah in der Oberfläche des Wassers grüne Landschaften, Wälder, Seen und Berge, die er nie zuvor erblickt hatte. In ihm wuchs die Sehnsucht, die Wüste zu verlassen.

Da wachte er auf. Er fand sich neben seiner Frau wieder. Er blinzelte, wegen der Tränen die seine Augen verließen, als ob sie es in ihm nicht mehr aushielten. Stumm stand er auf und packte die Koffer. Er würde nicht mehr zurücksehen. Er würde mit seiner Frau zu den grünen Landschaften und Bergen gehen. Sie würden die Wüstenmeere verlassen und tief in seinem Inneren wusste er, dass ein Gott war, den er in seiner inneren Oase sehen konnte.

2 comments:

Tina said...

hm.. regt zum Nachdenken an :).

Ray Gratzner said...

Liebe Tina,

viel Spaß beim nachdenken und viel Spaß beim Laufen an der Elbe...