Sunday, November 28, 2010

Lindwurm


Ein Lindwurm, dessen Vorfahren vor Tausenden von Jahren ein Ei in einem Vulkan gelegt hatten, der kurz darauf erloschen war. Dieser Lindwurm kam jetzt zur Welt, als der Vulkan erneut zum Leben erwachte und endlich, endlich die Temperaturen aufbrachte, die das kleine Lindwurmbaby benötigt hatte, um sich zu entwickeln.

Das Baby kroch aus seinem Ei und spürte, das etwas nicht in Ordnung war. Da war diese kolossale Einsamkeit, die auf ihm lastete. Er konnte nicht den Lindwurmschwanz darauf legen, aber keine Verwandten zu haben, zu fühlen und zu spüren machte ihm zu schaffen. So wuchs der Lindwurm in dem Bewusstsein auf, in diese Welt gestoßen worden zu sein, ohne einem Spiegelbild je begegnen zu können.

Auf der Vulkaninsel lebte zur selben Zeit eine Schildkröte, die die letzte ihrer Art war. Ihre Vorfahren waren von Seefahrern aufgegessen worden und so gab es niemanden und keinen, der die Schildkröte hätte spiegeln können. Einsamkeit zog langsam und in aller Schwere durch das Schildkrötenherz.

Eines Tages begegnete die Schildkröte dem Lindwurm und beide traf es wie ein Schlag auf den Kopf, dass der jeweils andere ebenfalls eine kolossale Einsamkeit mit sich trug.

Sie standen still und stumm voreinander. Keiner mochte weitergehen oder etwas sagen. Was verband sie nur?

Einem Raben, der über das seltsame Pärchen hinwegflog, fiel die Lage auf und er beschloss zu helfen. Er landete auf dem Kopf des Lindwurms und hob zu sprechen an.

"Hochverehrte Schildkröte, du friedliche Bewohnerin der Insel, du Seele vergangener Zeiten. Hochvererter Lindwurm, du feuriges Element, einer jugendlichen Erde. Obwohl noch jung an Jahren, sind Eure Arten in das höchste Alter gelangt. Nach Euch wird es eure Gattungen nicht mehr geben und so seid ihr bereits gedrückt von der Einsamkeit und der Last des Alters eurer Art. Ihr spiegelt aneinander die Ausweglosigkeit des Lebens, das sich nicht mehr fortpflanzt, sondern dem Alter trotzt, solange es nur kann."

Der Lindwurm und die Schildkröte nickten. Aha, ja, das war es also, darum hatten sie nie jemanden von ihrer Art gesehen. Es gab niemanden mehr.

Tröstet euch. Wir Raben, die wir noch viele Nachkommen haben, wir werden ebenfalls alt. Und irgendwann ist keiner mehr von denen da, mit denen wir geboren wurden. Sie sind weg, verschluckt vom Lauf der Geschichte, so wie eure Verwandten und Vorfahren verschluckt wurden, vom Lauf der Zeit. Dennoch genießen wir die Zeit, die uns bleibt, und erfreuen uns an den wunderbaren Fähigkeiten, die einem Raben zu Gebote stehen. Wir alten Raben wundern uns und erfreuen uns auf dieser Welt bis zum letzten Atemzug. Und all unsere Erfahrungen und Erlebnisse nehmen wir mit in die nächste Existenz. Wir nehmen bewusst keine Gefühle von Einsamkeit oder der Last oder der Trauer. Ich danke dem großen Raben, dass ich den letzten Lindwurm und die letzte Schildkröte dieser Insel treffen durfte - oh Wunder oh Wunder.

Da fühlten der Lindwurm und die Schildkröte sich sehr leicht. Sie schauten ins Innere ihrer Herzen und erfreuten sich an dem Wunder, dass sie die Letzten waren, die noch die Fähigkeiten ihrer Arten im Bewusstsein trugen. Der Lindwurm sprach mit dem Geist des Feuers und dem Geist des Vulkans wie mit einem anderen Lebewesen. Alle drei waren lebendes Feuer. So flog der Lindwurm davon.

Die Schildkröte sah überall auf der Insel, die Träume ihrer Vorfahren wie Kleinode an der Erde kleben und sie fühlte die glückliche dankbare Gemeinschaft langsamer Pflanzenfresser. Die Träume waren wie Gesänge, wie ein nicht enden wollende Oper mit dem letzten noch lebenden Dirigenten, der letzten ihrer Art.

So zogen sie davon, jeder ein Zeugnis des Wunders des Lebens und des Vergehens und Wandels.

Sunday, November 21, 2010

Seelenspiegel


Wenn wir einen Blick in den Spiegel unserer Seele werfen wollen, welches wäre wohl der geeignete Spiegel?
Ein guter Freund? Eine gute Freundin?
Die Träume?
Der Badezimmerspiegel – ein Blick in die eigenen Augen?
Ein Blick auf die eigenen Werke?
Der zuverlässigste Spiegel von allen Spiegeln der Seele, die du bereits kennst, das Gefühl für dein Herz. Lege die Hand auf deine Brust. Fühle das Klopfen, fühl e dein Herz.  Versenke dich in das Gefühl und stelle dir dein Herz als Spiegel vor.
Betrachte dich in diesem Spiegel deines Herzens.  Achte darauf, wie dein Bild sich verändert, wenn du es liebst, mit Liebe überströmst.



Sunday, November 14, 2010

Gutes Kind, böses Kind


Eines Tages traf ich einen jungen Mann von vielleicht drei Jahren. Er besaß einen indignierten Gang, Sommersprossen und rote Haare sowie einen Babyspeckansatz, der sich im Laufe der Jahrzehnte von seiner weichen Seite zu einem dicken Bauch entwickeln sollte.

Seine Eltern, ein paar hochstaplerischer Lehrer, die nie im Leben ein Lehrerstudium abgelegt hatten, hatten ihrem Kind stets versichert, etwas Besonderes zu sein. Nach diesen steten Versicherungen ergab sich der Vater für gewöhnlich seiner Trunksucht und die Mutter dem Lesen aller Bestseller auf der Spiegelliste, sodass der Dreijährige eigentlich allein mit der Putzfrau auf der Welt geblieben wäre, wenn er da nicht noch einen Bruder gehabt hätte, der ihm glich wie ein Ei dem Anderen. Beide trugen hübsche wunderbare Hornbrillen, die den jungen Männern eine Atmosphäre skurriler schöpferischer Fehlgriffe gaben. Das Ensemble zusammen war so ungewöhnlich, dass es auf eine eigenartige Weise wieder anziehend war. Eine Art Glutamat der Hässlichkeit, die auf ihre Art, den Betrachter reizte mehr und mehr sehen zu wollen, obwohl alle Details für sich Abscheu erzeugten.

Im Sandkasten wurde sie geprügelt und bespuckt. Auf der Schule wurden sie wegen ihrer Eltern bevorzugt und gelobt. Für alle Anfeindungen im Sandkasten konnten sie sich rächen, weil nun Mama und Papa (die Lehrer) das Gesetz in der Schule waren.
Auf dem Gymnasium wurden sie wieder geprügelt und bespuckt. Sie machten ein ärmliches Abitur und studierten lange und wurden nie richtig fertig.

Frauen, die sich für die Zwillinge interessierten, waren in der Regel gefallene, gebrochene Frauen, die vom Leben nichts mehr erwarteten und denen der Anblick von Hornbrillen und Sommersprossen nichts mehr ausmachten. Der eine Zwilling gab sie wie der Vater dem Alkohol hin, der Andere wie seine Mutter dem Lesen.

Sie lebten ihr Leben und konnten die Welt nicht lieben, die sie um die Größe und Großartigkeit betrog, von denen Mama und Papa stets gesprochen hatten. Sie starben entgleist und verbittert, glatzköpfig aber mit Sommersprossen und Hornbrillen. In ihren letzten Jahren lebten sie von der Kraft Anderer, die alle Menschen für gleich hielten, auch wenn sie arm und dumm geboren waren.

Die Zwillinge gingen an vielem vorbei, doch das Licht in anderen konnten sie nicht sehen, weil Mama und Papa die Lüge im Herzen und auf den Zungen trugen.

Sei kein gutes Kind, wenn du belogen wirst. Folge dem Licht, wann immer es zu Dir kommt.


Sunday, November 7, 2010

Kreisläufer


Im Traum ging der fromme Mann durch die Wüste. Ob die Wüste magisch, leer, vom Teufel bewohnt oder von Gott genutzt war, das beschäftigte ihn nicht. Demütig tat er seine Arbeit. Er zog seine Kreise von einer Stadt zur nächsten und hatte schon lange vergessen, welche Stadt der Anfangspunkt der Reise und welche Stadt das Ziel gewesen war. Da er immer wieder weiterzog, um seinen Handel zu treiben, war das belanglos geworden.

Sicher, da gab es seine Frau. Sie war hübsch, heiter, eine Oase schöner Gefühle und sein liebster Gedanke. Doch ob sie nun in jener Stadt oder dieser lebte, hätte für sein Leben keinen Unterschied gemacht, da er stets von Neuem aufbrach. So gab es keinen besonderen Ort mehr für ihn auf dieser Welt. Es gab nur die stete Reise durch die Wüste.



Dieser Traum schien anders zu sein. Er mochte jetzt vielleicht Jahre hintereinander geträumt haben, ohne je aufgewacht zu sein. Die Länge dieses Traums, die Unterbrechung im Kreislauf von Schlafen und Wachen machte ihn unruhig und besorgt. War er krank, hatte sich im Wachen etwas ereignet, dem er sich nicht mehr stelle wollte oder konnte. Während er dies dachte, verließ ihn jede Kraft in der Wüste. Er sank von seinem Kamel, das unbeirrt weiterzog, bis es am Horizont nur noch kleiner Punkt geworden war.

Die Stimme versagte ihm und seine Zunge hing am Gaumen. Seine Hände griffen in den heißen Sand, der Wind  roch nach gar nichts und demütig sprach er zu sich, "Gott, ist dies der Tag, an dem ich sterben soll?" Er war bereit sein Leben loszulassen, denn er hatte das Gefühl, alles bereits getan und alles erlebt zu haben, dass in seinem Wüstenleben möglich gewesen war.

Doch Gott antwortete nicht. Statt dessen versank er in der Erde, fand sich in einer dunklen feuchten Erde wieder und kam zurück an das Licht, als Oase. Er fand sich am Wasserloch sitzend vor und sah in der Oberfläche des Wassers grüne Landschaften, Wälder, Seen und Berge, die er nie zuvor erblickt hatte. In ihm wuchs die Sehnsucht, die Wüste zu verlassen.

Da wachte er auf. Er fand sich neben seiner Frau wieder. Er blinzelte, wegen der Tränen die seine Augen verließen, als ob sie es in ihm nicht mehr aushielten. Stumm stand er auf und packte die Koffer. Er würde nicht mehr zurücksehen. Er würde mit seiner Frau zu den grünen Landschaften und Bergen gehen. Sie würden die Wüstenmeere verlassen und tief in seinem Inneren wusste er, dass ein Gott war, den er in seiner inneren Oase sehen konnte.