Ein Lindwurm, dessen Vorfahren vor Tausenden von Jahren ein Ei in einem Vulkan gelegt hatten, der kurz darauf erloschen war. Dieser Lindwurm kam jetzt zur Welt, als der Vulkan erneut zum Leben erwachte und endlich, endlich die Temperaturen aufbrachte, die das kleine Lindwurmbaby benötigt hatte, um sich zu entwickeln.
Das Baby kroch aus seinem Ei und spürte, das etwas nicht in Ordnung war. Da war diese kolossale Einsamkeit, die auf ihm lastete. Er konnte nicht den Lindwurmschwanz darauf legen, aber keine Verwandten zu haben, zu fühlen und zu spüren machte ihm zu schaffen. So wuchs der Lindwurm in dem Bewusstsein auf, in diese Welt gestoßen worden zu sein, ohne einem Spiegelbild je begegnen zu können.
Auf der Vulkaninsel lebte zur selben Zeit eine Schildkröte, die die letzte ihrer Art war. Ihre Vorfahren waren von Seefahrern aufgegessen worden und so gab es niemanden und keinen, der die Schildkröte hätte spiegeln können. Einsamkeit zog langsam und in aller Schwere durch das Schildkrötenherz.
Eines Tages begegnete die Schildkröte dem Lindwurm und beide traf es wie ein Schlag auf den Kopf, dass der jeweils andere ebenfalls eine kolossale Einsamkeit mit sich trug.
Sie standen still und stumm voreinander. Keiner mochte weitergehen oder etwas sagen. Was verband sie nur?
Einem Raben, der über das seltsame Pärchen hinwegflog, fiel die Lage auf und er beschloss zu helfen. Er landete auf dem Kopf des Lindwurms und hob zu sprechen an.
"Hochverehrte Schildkröte, du friedliche Bewohnerin der Insel, du Seele vergangener Zeiten. Hochvererter Lindwurm, du feuriges Element, einer jugendlichen Erde. Obwohl noch jung an Jahren, sind Eure Arten in das höchste Alter gelangt. Nach Euch wird es eure Gattungen nicht mehr geben und so seid ihr bereits gedrückt von der Einsamkeit und der Last des Alters eurer Art. Ihr spiegelt aneinander die Ausweglosigkeit des Lebens, das sich nicht mehr fortpflanzt, sondern dem Alter trotzt, solange es nur kann."
Der Lindwurm und die Schildkröte nickten. Aha, ja, das war es also, darum hatten sie nie jemanden von ihrer Art gesehen. Es gab niemanden mehr.
Tröstet euch. Wir Raben, die wir noch viele Nachkommen haben, wir werden ebenfalls alt. Und irgendwann ist keiner mehr von denen da, mit denen wir geboren wurden. Sie sind weg, verschluckt vom Lauf der Geschichte, so wie eure Verwandten und Vorfahren verschluckt wurden, vom Lauf der Zeit. Dennoch genießen wir die Zeit, die uns bleibt, und erfreuen uns an den wunderbaren Fähigkeiten, die einem Raben zu Gebote stehen. Wir alten Raben wundern uns und erfreuen uns auf dieser Welt bis zum letzten Atemzug. Und all unsere Erfahrungen und Erlebnisse nehmen wir mit in die nächste Existenz. Wir nehmen bewusst keine Gefühle von Einsamkeit oder der Last oder der Trauer. Ich danke dem großen Raben, dass ich den letzten Lindwurm und die letzte Schildkröte dieser Insel treffen durfte - oh Wunder oh Wunder.
Da fühlten der Lindwurm und die Schildkröte sich sehr leicht. Sie schauten ins Innere ihrer Herzen und erfreuten sich an dem Wunder, dass sie die Letzten waren, die noch die Fähigkeiten ihrer Arten im Bewusstsein trugen. Der Lindwurm sprach mit dem Geist des Feuers und dem Geist des Vulkans wie mit einem anderen Lebewesen. Alle drei waren lebendes Feuer. So flog der Lindwurm davon.
Die Schildkröte sah überall auf der Insel, die Träume ihrer Vorfahren wie Kleinode an der Erde kleben und sie fühlte die glückliche dankbare Gemeinschaft langsamer Pflanzenfresser. Die Träume waren wie Gesänge, wie ein nicht enden wollende Oper mit dem letzten noch lebenden Dirigenten, der letzten ihrer Art.
So zogen sie davon, jeder ein Zeugnis des Wunders des Lebens und des Vergehens und Wandels.
3 comments:
Dazu hier mein allererstes Gedicht in Reimen. 2005 entstanden.
Der Drache erwacht
Tief unten im Berg
liegt er friedlich und ruht.
Bewacht von einem Zwerg
und träumt die Welt wäre gut.
Er träumt einen Traum
voller Frieden und Glück.
Von Blume und Baum,
er lächelt entzückt.
Doch der Zwerg hört sie kommen,
das Menschengeschlecht.
Hat den Lärm längst vernommen,
die Maschinen entdeckt.
Den Berg wollen sie sprengen,
im Weg soll er sein.
Wollen Straßen rein drängen,
in die Masse von Stein.
Menschen gebt acht,
warnt sie der Zwerg.
Der Drache erwacht,
denn sein ist der Berg.
Doch sie hör'n nicht die Warnung,
die der Zwerg ihnen bringt.
Sie haben keine Ahnung,
wo die Sprengung eindringt.
Sie sprengen, zerstören,
sind vor Ungeduld blind.
Die Welt muss ihnen gehören,
weil so mächtig sie sind.
Stellt ein Euer Werk,
Menschen gebt acht.
Zerstört nicht den Berg,
der Drache ist erwacht.
Verdorrt sind die Bäume,
vergiftet die Seen.
Ausgeträumt seine Träume,
die Welt nicht mehr schön.
Es reckt sich der Drache,
sieht das Elend um sich her.
Schwört furchtbare Rache,
will die Menschheit nicht mehr.
Er kommt aus der Tiefe,
schnaubend vor Wut.
Und auf was er auch trifft,
wird versengt von seiner Glut.
Er schlägt mit dem Schwanze,
die Erde erbebt.
Er stampft wie im Tanze,
bis Niemand mehr lebt.
Seine mächtigen Schwingen
peitschen die Wellen der Meere.
Keine Flucht kann gelingen,
Wasser schluckt auch die Heere.
Menschen gebt acht,
groß wird Eure Not.
Wenn der Drache erwacht,
seid Ihr bald alle tot
Ist die Erde wieder rein
von Zerstörung und Dreck,
schläft der Drache bald ein,
bis man wieder ihn weckt.
Menschen gebt acht,
seid nicht eitel und stolz.
Wenn der Drache erwacht,
seid Ihr es, denen er grollt.
Lieber Ray!
Der Blickwinkel entscheidet wohl über die Art des Denkens,....den man ggf. ändern kann.....(...und so entscheidet am Ende das Denken über den Blickwinkel...).
Nichts stirbt wirklich,...und alles ist mit allem verbunden....
Sei ganz lieb gegrüßt
Grey Owl
Schön.. die Wahrnehmung ändert die Welt. Gefällt mir :).
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