Thursday, October 25, 2012

Maris nimmt mich mit

Karl nahm mich zur Seite und sagte, "lass uns mal ein paar Schritte gehen."

Wir entfernten uns ein wenig von den vier Frauen und waren bald außer Hörweite. Die vier Frauen schienen eine Auseinandersetzung zu haben. Ich konnte sehen, wie sie heftig gestikulierten. Sie schienen sich anzuschreien und hin- und her zu laufen. Dann standen sie eine Weile im Kreis und schließlich wandten sich drei der Frauen gleichzeitig von der vierten ab. Die vierte ließ die Schultern hängen und winkte uns beide schließlich her zu sich.

Karl wusste, " Die haben sich gestritten, wer Dich aufnehmen soll und ich schätze mal, Du bist nicht sehr begehrt."

"Wieso denn aufnehmen, schlafe ich denn nicht bei Dir? Und warum sollte ich bei den Frauen wohnen?"
"Nun, Ray, ist doch einfach. Wir Männer werden von Frauen geboren und erzogen. Dir fehlt im Moment die richtige Erziehung für das Leben hier, jenseits der Brücke. Deswegen nehmen sie Dich auf. Sie werden Dich formen und lehren und dann, wenn Du sozusagen - übertragen gemeint - Dich nicht mehr bekleckerst und Dein Essen bei Dir behalten kannst, dann kommst Du mir zurück."

Wir waren jetzt bei Maris angekommen und sie sagte knapp,"Du kommst mit mir." Dann drehte sie sich um und ging voran. Ich stapste hinterher und wir schwiegen, bis wir ihr Haus erreicht hatten. Als wir reinkamen ließ sie mich in der Diele stehen. "Einen Moment", sagte sie und verschwand.

Der Moment dehnte sich ein wenig aus. Erst erscholl Musik, dann zog der Geruch von Räucherstäbchen durch das Treppenhaus. Schließlich, "Ray, komm her. Hierher nach oben."

Ich ging die Treppe hinauf. Meine Nase folgte der Duftspur und ich fand Maris in einem Zimmer mit rotbraunen Wänden und einem blauen Teppich. Der Teppich irritierte mich, denn ich hattte irgendwie das Gefühl, als wäre der Teppich das Fell eines atmenden Tieres. Der Teppich schien in Bewegung, aber ich konnte nicht wirklich, die Flanken oder den Brustkorb eines Tieres ausmachen.

Maris trug ein Indianerkostüm, schwarze lange Haare und eine Feder im Haar.
"Setz' Dich, stolzer Krieger."
Amüsiert setzte ich mich. "Spielen wir jetzt Indianer und Old Shatterhand?"
"Nein", sagte sie. "Ich rette Dein Leben, in dem ich Dir etwas klarmache, dass Männer zeitlebens nicht begreifen, bis es sie umbringt."
"Und das wäre?", meine Neugier war geweckt.
"Was ist der Teppich?"

Ich blickte nach unten und fühlte den Teppich. Fasern waren es nicht, ich griff ins Leere. Trotzdem fiel ich nicht einfach ins Leere und sie saß mir gegenüber. Alles schien wie ein Teppich und ein Fußboden auszusehen, aber ich konnte es nicht "begreifen".

Ich stand auf und sah einen blauen, wabernden Teppich und dann für einen Moment sah ich mich fallen, wie durch einen Tunnel, ein eisiger Fahrtwind, blies mir ins Gesicht und fror mir meine Gesichtszüge ein. Ich fiel in ein bodenloses Loch. Und dann wieder der blaue Teppich. Ich setze mich verstört hin. Meine Magengrube revoltierte und ich wollte das alles nicht mehr. Ich fand Maris doof. Was spielte sie für blöde Spielchen mit mir, was hatte das mit Erziehung zu tun.

Eigentlich wollte ich mir das Fallbild nicht mehr vor Augen holen, aber in dem Moment wo ich es nicht mehr sehen wollte, war es sofort wieder da und ich fiel erneut in diesen eisigen Tunnel, einsam und allein, mit einem gefroren Schrei im Hals, der wie ein Eiszapfen nicht mehr aus meine Lunge zu kommen schien.

Dann erinnerte ich mich an Maris und war sofort wieder in diesem Zimmer mit dem blauen Teppich.

Sie lächelte mich an. "Du begreifst schnell."
Ich schüttelte den Kopf. "Ich verstehe gar nichts."
"Doch, Du hast begriffen, ist Dir noch übel?"
Die Übelkeit war gewichen. Ich fasste den Teppich, der sich nunmehr fest und tragend anfühlte.
"Was ist Dir widerfahren?"
Ich erzählte von dem Fall ins Bodenlose.
"Ja. Männer fallen ihr gesamtes Leben lang. Aber das was Du als Fall empfindest ist im Grunde genommen, der Wind der Absicht. Absicht ist ein Konzept, dass Du jetzt noch nicht verstehst. Du wirst es verstehen lernen. Männer jedenfalls haben ein Ego, dass sie zwingt, sich ein Leben lang dem Wind der Absicht ständig auszusetzen. Mann muss ein Krieger sein, um eine innere Wahl zu treffen, woanders zu sein, als dem Wind der Absicht zu trotzen. Dein Körper hat diese Wahl hier schnell getroffen und nun bist Du voll und ganz hier."

Ich war nicht wirklich schlauer, aber das eisige Gefühl des Falls war mir noch gut in Erinnerung.

"Der Wind der Absicht weht zwischen den Welten. Zwischen hier und jenseits der Brücke, über die Du zu uns gekommen bist. Die Männer stellen sich dem Wind der Absicht, weil sie sich ihm nicht beugen wollen. Männer leben nicht im Einklang mit der Absicht, sie trotzen ihr. Männer sagen, das mutige Männer Krieger sind, die dem Tod ins Auge lachen und ihn betrügen. Nur mit all diesem Betrug, betrügen sie auch ihre Frauen und Kinder, denen sie auch ins Auge lachen, wenn ihnen Dinge todernst sind."

"Wir sagen hier, jenseits der Brücke, dass ein Krieger kein Geschlecht hat. Er kann eine Frau sein oder ein Mann und niemals würden wir dem Tod ins Angesicht lachen, oder dem Wind der Absicht trotzen. Nein wir lauschen dem Tod und wir nutzen die Absicht, wir trotzen nicht dieser Welt, wir bekämpfen sie nicht und ringen sie nicht nieder. Nein wir erleben die Wunder diese Welt mit der Zurückhaltung einer inneren Wahl und so wirst Du heute hier übernachten und dich prüfen, ob Du fähig bist, Deine innere Wahl aufrecht zu erhalten..."

Sie stand auf. "Schlaf gut. Morgen lernst Du etwas anderes. Morgen wirst Du Ketten sprengen..."




 Ein richtiger Kerl, lässt sich nicht unterkriegen





2 comments:

Anonymous said...

bin mal gespannt wie es weiter geht?
Gruss Erwin

Ray Gratzner said...

Lieber Zentao,

danke für Dein Interesse. Liebe Grüße in die Schweiz.

Rainer