Sunday, October 14, 2012

Name oder Nicht-Name, das ist hier die Frage

Eine Weile war ich hinter dem Mann hinterher gelaufen bis ich es ein wenig verrückt fand, seinen Namen nicht zu kennen. Ich blieb stehen, mir schmerzten die Glieder und das Stehen machte mir dies erst richtig bewusst. Ein Gefühl, als ob ich mich dehnen und strecken wollte und doch ein Angst, also ob ich mir etwas zerren würde, wenn ich es täte.
"He", rief ich. "He, wie heißt Du, ich meine wie ist Dein Name."
Er blieb stehen und drehte sich um. "In dieser Welt bin ich Dein Bruder. Sagen wir Dein älterer Bruder, der ein wenig auf Dich achten wird."
"Und welchen Namen hat mein Bruder?", fragte ich unzufrieden.
Er setzte sich und schaute mich forschend an. Nach einer Weile fragte er, "Möchtest Du Dich nicht vielleicht auch setzen?"
Ich nickte und setzte mich langsam auf den Boden in einen Schneidersitz. Ich berührte den warmen Sand mit der Hand und genoß das weiche nachgiebige Gefühl, das meiner Hand schmeichelte.
"Du fühlst Dich sicherer wenn die Dinge, die Tiere, die Pflanzen und Menschen einen Namen haben. Es gibt Dir das Gefühl im Reich des Bekannten zu sein. Habe ich recht?"
"Das mag schon sein." Ich mochte diese Frage nicht. Warum konnte er mir nicht einfach seinen Namen sagen, wie die Höflichkeit es gebot?" Es ist unhöflich auf eine Frage mit einer Gegenfrage zu antworten", platzte es aus mir raus.
"Deine alte Welt liegt hinter Dir. Dein Wunsch meinen Namen kennen zu wollen ist der Wunsch Deine alte Welt wieder aufzubauen. Warum sonst bist Du so erpicht auf Namen. Hier brauchen wir keine Namen. Namen ändern sich nicht. Namen geben Dir den Eindruck, dass Du es mit einer Konstante zu tun hast und hier", er hob den rechten Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger und deutete auf unsere Umgebung. "Hier überall ändert sich alles jeden Moment. Du kannst mir Karl nennen, wenn Du es willst. Aber ich bin jetzt Karl und morgen triffst Du vielleicht den Helmut in mir."
Ich fing an zu lachen, die Vorstellung er wäre von mehreren Menschen bewohnt  fand ich lustig.
"Warum lachst Du?"
"Nun, du wirst Dich doch nicht von einen Tag auf den anderen in einen ganz anderen Menschen verwandeln." Ich lachte weiter.
" Pass auf." Er stand auf und hob etwas dunkelgrünes vom Boden auf. Er legte es in meine Nähe. "Ich nenne dies einen Pflanzenast. Beobachte ihn."
Ich schaute auf den Ast. Nach ungefähr einer Minute kam Bewegung in den Ast. Er schlängelte sich mit großer Geschindigkeit davon.Unwillkürlich hatte ich mich beim Beginn der Bewegung erschreckt.
"Diese Eidechse, war ein Ast für dich. Für mich war sie eine Eidechse, die sich totstellte. Für einen Raubvogel mag sie das Abendessen sein. Wie auch immer, der Name legt fest, was für eine Bedeutung sie in Deinem Leben haben soll. Nur dass die Eidechse bei all dem nicht gefragt wird. Sie weiß nichts von unseren Namen und von den Bedeutungen, die wir in unserem Inneren erschaffen. Wenn wir die Namen aufgeben, geben wir der Welt ihre Vielfalt zurück und wir tun dies nur in unserem Inneren. Ich möchte aber nicht, dass Du der Welt ihre Vielfalt zurückgibst wegen mir. Ich möcht das Du der Welt ihre Vielfalt zurückgibst wegen Dir. Weil Du wandlungsfähig bist, über jede Vorstellung all dessen, was Deine Namen je ausmachen könnten. Du bist ein Mensch, vielleicht mal eine Krähe, ein Grashalm oder Eidechse. Du bist mehr als Du benamsen kannst und fürs Erste gib mir keinen Namen, damit ich alles für Dich sein kann."
Eine Stille entstand. Mir erschien das Gesagte sehr philosophisch. "Ok, großer Bruder" sagte ich. Es knackte im Gehölz und ein Rauschen und Rascheln erfüllte die Luft. Ich fragte mich, was für eine Herde Viecher da wohl unterwegs wäre, als eine Gestalt aus dem angrenzenden Pflanzensaum heraustrat. Ein Mädchen schien es mir zu sein, die eine Vorrichtung durch die Luft schwang, die all diese furchtbaren  Geräusche machte. Sie hatte schwarze Haare, trug ein braungrünes, figurbetontes Kleid und kam schnustracks rüber zu mir.
Sie blieb vor mir stehen und schaute mich an. Ich blickte in ihre Augen. Sie hatte keine erkennbare Gefühlsregung im Gesicht. Sie stoppte die Geräuscherzeugung und ging in die Hocke.
So betrachtete sie mich eine Weile. Sie blickte sich um zum großen Bruder. "Ein Neuer?"
Er nickte.
Sie hielt mir eine Hand hin. "Komm, Du bist verletzt, Du wirst die Nacht hier nicht überleben. Dein Körper hat schon angefangen zu sterben. Bemerkst Du denn nichts?"
Verwundert reichte ich ihr die Hand und erst jetzt bemerkte ich die Schwäche, die mich ergriffen hatte. Die körperlichen Schmerzen waren stärker geworden. Sie stütze mich und ich roch einen milden Duft von Zitronengras und Vanille.
"Er hat sein Heil in der alten Welt gesucht. Namen sollten seine Schwäche vertreiben."
Der große Bruder kam zu uns und stütze mich von der anderen Seite.
"Du bist zu nachsichtig mit den Neuen."
"Es war seine Wahl."
"Und? Was soll es ihm helfen, wenn er seinen Platz nicht mehr erreichen kann?"
"Es wäre seine Wahl."
Ich verlor das Bewusstsein.



5 comments:

Norbert said...

Lieber Rainer, so sind wir, die Menschen. Wir geben den Dingen ein Be-deutung und vergessen,dass wir unser Selbst nicht wirklich kennen.
Es ist auch leichter einen Fingerzeig auf jemand anderen zu richten, bemerken nicht, dass dann gleich 3 Finger auf unser Selbst zeigen, das wir nicht wahrnehmen. damit bleibt uns eine große Vielfalt der Natur und damit unserem Leben, verborge.
Eine schöne Metapher.
Gruß
Norbert

Monika Maria Neumeyer said...

Du beschreibst meine Geschichte? Danke Ray! ♡

Es spricht aus Stein, Pflanze, Tier, Mensch sobald ich Namen «be»-nutze ... kommt der

innere Vermittler ... in Dia-logischer Kultur (Mittler-weile) ... das weiter Führende be-fruchtet mh-ich ...




PS.
bei-ne gekreuzt ... ;-)
eine Welt voller
Symbole


Wir «wandeln» zusammen, lieber Freund! Jeder fürs «Ich»-Bewusst.Sein ...

Herzliche Grüße
Monika Maria

Ray Gratzner said...

Lieber Norbert,

na klar, da hast Du recht, vielen Dank für Deine unnachahmliche Art, die Dinge auf den Punkt zu bringen...

Liebe Grüße Rainer

Ray Gratzner said...

Liebe Monika,

es ist doch schön, dass Deine Geschichte uns zeigt, dass wir gemeinsam wandeln. Es gibt viel zu sehen - Laufen wir los.

Liebe Grüße Rainer

Monika Maria Neumeyer said...

Laufen wir «Los» im Wandeln ... Lieber ... nichts lieber als das ... :-)

ganz herzlich
Monika