Sunday, August 24, 2008
Freundin
Sie sah auf Ihre Hände. Kleine Hände, ohne jede Falte. Die Hände einer Fünfjährigen, die die Welt begreift. Stundenlang nahm sie Tag für Tag Dinge in die Hand. Sie streichelte Katzen, Hunde, Hamster und Meerschweinchen. Mamis Haut streichelte sie. Sie nahm die Hände, um Essen anzufassen und die Welt war wie ein einziger großer unterschiedlicher Eindruck in ihren Händen. Alles ließ sich betasten.
Und doch gab es da eine Sache, nach der sich ihre Händchen sehnten, diese Sache zu berühren und doch nicht konnte. Eine Barbiepuppe. Eine eigene Barbiepuppe. Eine Freundin ganz für sie allein, die sie an und ausziehen konnte, die sie fühlen konnte, die angenehm in der Hand lag.
Ihre Freundinnen hatten diese Puppen, aber ihre Eltern waren dagegen. "Ach Schatz", sagte die Mutter immer, "das ist doch alles nur Geschäftemacherei. Die Welt hat andere Schönheitsideale als blonde Puppen. Du wirst vielleicht mal Ingenieur oder Geschäftsführer. Da brauchst Du keine Barbiepuppen."
Ihr war es egal was sie in zwanzig Jahren sein würde. Sie verstand nichts von der Welt der Erwachsenen. Sie wollte eine Freundin und es war doch egal wie die Freundin aussah? Konnte sie nicht auch blond sein, denn Katrin war doch auch blond und Katrin war ihre beste Freundin.
Also träumte sie von Barbiepuppen. Viele schöne Barbiepuppen und inmitten dieser Puppen - ihre Puppe, ihre Freundin. Sie berührte Barbie und spürte die Liebe zu dieser Puppe in ihr wachsen und streichelte die Puppe zärtlich. Ach Barbie, wenn die Mami mich doch nur zu Dir ließe. Stundenlang träumte das kleine Mädchen von dieser Puppe.
Dann nahte der Geburtstag des kleinen Mädchen und es hatte unruhig geschlafen. Früh am Morgen war es aus dem Bett gesprungen und war in das Wohnzimmer gelaufen, um ihre Geschenke zu betrachten. Ob diesmal eine Barbiepuppe dabei sein würde?
Von der Größe der Pakete her konnte es nur das mittlere Paket sein, es war länglich und hatte die Ausmaße einer Barbiepuppe. Freudig nahm sie das Paket in die Hände und stutzte. Es fühlte sich zu schwer an. Mit banger Vorfreude riß sie das Papier auf und sah ein Fernglas. Dran prangte ein Zettel den sie schon ganz langsam entziffern konnte, 'Für unseren kleinen Forscher, in Liebe Deine Mami."
Lustlos nahm sie das Fernglas in die Hand. Eine kalter matter Gegenstand mit großen insektengleichen Augen. Sie blickte einmal durch und sah die Welt um sich herum eigentümlich nah.
Die Mami kam derweil ins Zimmer und blickte sie freudestrahlend an. "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag mein kleiner Schatz. Du bist jetzt sechs Jahre alt."
Sie lächelte ihre Mami enttäuscht an. Die Mami legte die Stirn in Falten.
"Gefällt dir das Fernglas nicht?" Sie nahm es in die Hand und streichelte es. "Ich wollte als Kind immer eines haben. Statt dessen gab es immer nur Puppen und Puppen. Während die Jungs mit Ferngläsern und Taschenmessern spielten."
"Mami?"
"Ja."
"Wärest Du gerne Ingenieur geworden?"
"Ich glaube schon Schatz."
Da war dem Mädchen alles klar. Mami schenkte ihr das, was sie selber gern gehabt hätte.
"Und dann hast Du deine Spielsachen gehasst?"
"Ja, meine Mutter hat mir nie gescheckt was ich haben wollte. Es war schrecklich Kleines. Sobald ich konnte, habe ich mich von den Sachen getrennt."
"Dann hast Du nichts mehr aus Deiner Kinderzeit?"
"Doch, das ist alles auf dem Dachboden, im Karton."
"Zeigst Du mir das mal?", fragte das kleine Mädchen.
Die Mami lachte, "klar Du bist das Geburtstagskind. Du bestimmst heute was wir machen. Nimm dein Fernglas und dann gehen wir auf den Dachboden." Die Mutter drückte ihr das Fernglas bestimmt in die Hand und ging voraus.
Mutti war ein Riese. Die Kleine fragte sich, ob sie je so groß werden würde wie Mami. Mami ging auf der Treppe voran, während sie ihr auf Händen und Füßen folgte. Es machte Spaß, die Treppenstufen zu betasten und die abgenutzten Stellen in der Mitte der Stufen zu berühren. Auf dem Boden angekommen, fühlte sich alles staubig und kalt an.
Mami zog zielsicher eine Kiste aus den Unmengen der Kisten hervor und öffnete den Kasten. "Schau", mit leicht gelangweiltem Gesicht wies die Mami in die Kiste. Sie kam näher und blickte hinein. Sie wußte nicht genau, was sie erwartet hatte, doch dann drückte sie der Mama das Fernglas bestimmt in die Hand.
"Da. Für dich. Ich nehme dies hier." Sie nahm Barbie in die Hand. Blond lag sie dort als hätten ihr die letzten zwanzig Jahre nichts anhaben können. Die Welt versank rund um das kleine Mädchen. Zwei Freundinnen hatten den Weg zueinander gefunden. Sie nahm Barbie in die Hand drückte sie ans Herz und lauschte all den Geschichten, die Barbie jetzt zu erzählen hatte. Die Mutter hielt derweil unschlüssig das Fernglas in der Hand, doch die Tochter schien unerreichbar, hingesunken vor der Kiste. Dann hängte sie sich das Fernglas um den Hals. "Bis später dann...?", fragte sie und als sie keine Antwort erhielt, zog sie sich langsam zurück.
Glücklich und zufrieden lagen ihre Hände auf dem Glas. Ob sie auch in ihrem Alter noch Abenteuer erleben konnte....
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6 comments:
.......wenn sie sich drauf einläßt, bin ich mir sicher.........
Grye Owl
Lieber Ray,
Kompliment. Das hast Du wundervoll geschrieben und toll formuliert. Die Geschichte spricht mich natürlich aus einem einzigen Grunde an:
Ich habe als Kind Mädchen und Puppen und Puppenwagen regelrecht verabscheut. Bis zu einem gewissen Alter durfte ich mit den Jungs Fußball und Indianer spielen, das fand ich einfach - sehr zum Ärgernis meiner Eltern - viel spannender.
Dann bekam ich eine Tochter: sie liebte all das, was ich "doof" fand: Puppen, sich verkleiden als Prinzessin, sie trug nur Kleidchen in den Farben pink und rosa, etwas Anderes kam nicht in Frage.
Auch wenn ich oft nicht einverstanden war mit den Entscheidungen meiner Kinder, so habe ich sie letztendlich versucht, sie sein zu lassen.
Sonnige Grüße
Dori
Liebe gry owl,
danke für Deine Einschätzung... und einen angenhmen Abend noch... LG Rainer
Liebe Sonnenfrau, vielen Dank für Deine persönliche Geschichte und schön, dass Deine Tochter tolerant Spielzeug bekommen hat. Pink und Rosa sind ja durchaus hübsche Farben..
das ist eine schöne Geschichte. Und eine sehr kluge 6-jährige *g*
Lieber Ray,
auch ich finde diese Geschichte bezaubernd und habe mich sehr daran gefreut.
Wünsche sind eben Wünsche! Und jeder darf für sich selbst entscheiden, was er sich denn wünscht...und das universelle Gesetz der Anziehungskraft funktioniert immer.
Alles Liebe aus dem Isartal,
besser und besser,
Gaba
Liebe schocan, ich freue mich, dass Dir die Geschichte gefällt... LG Rainer
Liebe gaba, freut mich das die universelle Anziehung dich aus dem Isartal in dieses Blog gezogen hat.. LG Rainer
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