Sunday, September 26, 2010
Tim
Karin und Helga waren Zwillinge. Beide waren mit Schönheit verflucht. Ohne es zu wollen und es je geübt zu haben, waren jede Bewegung von Karin oder Helga inspirierend für Menschen, die ihnen begegneten. Die Zwillinge trafen auf strahlende Menschen, deren Augen leuchteten. Alle wollten sie anfassen, ihnen über den Kopf streichen, so als wollten die Mitmenschen per Berührung ein wenig Schönheit auf sich umleiten.
Die Zwillinge bekamen viele Geschenke, ungebeten und stets mit der Erwartung verbunden, ein wenig Zeit mit den Kindern verbringen zu dürfen.
Als die Mädchen heiratsfähig wurden, da stritten sich die jungen Männer heftig, wer die Zwillinge heiraten dürfte. Doch die Zwillinge lehnten jede Verbindung ab. Die jungen Frauen wollten nicht getrennt werden, da sie im jeweils Anderem, den einzigen Menschen neben Vater und Mutter sahen, der sie verstand und nicht um ihrer Schönheit willen liebte.
So kamen und gingen Marc, Thomas, Eike, Rolf, Ralf, Georg, Jürgen und wie die Bewerber alle hießen. Stets enttarnten die Schwestern, dass es den Männern nur um die Schönheit der Frauen ging und nicht deren inneren Ideale und Schönheiten oder auch deren dunkle Schatten der Persönlichkeit.
Manche verliebte Männer merkten nicht, wenn Karin und Helga die Plätze tauschten. Sie spürten nicht die Veränderung, versagten darin, das Wesen der Schwestern zu fühlen.
Andere Männer wollten die Schwestern als Ehefrau nicht arbeiten lassen. Sie sollten sie, gleich einem Luxustier, den Haushalt ihres Ehemannes schmücken und so versagten diese Männer darin, den Zwillingen das Glück der Selbstentfaltung zukommen lassen zu wollen.
Und dann waren da noch jene Männer, die den Schwestern alle Wünsche von den Augen ablasen, die aber keine Kritik übten, wenn die Schwestern ihre Schwächen zeigten, so versagten diese Männer darin, den Zwillingen ein Lebenspartner für alle Fälle des Alltags zu sein.
Die Schwestern hatten es aufgegeben einen Mann heiraten zu wollen, da kam Tim der Blinde. Als die Schwestern die Plätze tauschten roch er den Unterschied und beschwerte sich, dass sie mit ihm spielten.
In ihren Karriereplänen beriet Tim sie und betonte immer wieder, dass er als blinder Mann den Frauen eher ein guter Zuhörer als wirklicher Berater sein könnte und so sagt er ihnen viele Einsichten, die er aus dem Klang ihrer Stimmen herausgefunden hatte, dass er ihnen bald schon so wertvoll wurde, wie eine weitere Schwester.
Und wenn Sie böse waren, gemein, rachsüchtig, hinterhältig, geschwätzig oder Sonstiges, dann mahnte Tim die Zwillinge zur Ruhe und hieß sie ihr Herz suchen, dass sie offenbar verloren hätten.
So fielen die Geschwister in Liebe zu Tim, aber es konnte nur eine ihn heiraten. Die Liebe der Schwestern war aber so groß füreinander, dass jede bereitwillig auf Tim verzichtete, damit die Schwester ihn haben könnte.
Tim, dem die Schwestern durch aus gefielen und die er innig liebte, nachdem er lange Zeit mit ihnen verbracht hatte, wusste Rat.
"Ich nehme Euch beide zur Frau. Da euch beide niemand auseinanderhalten kann, wird die eine an den geraden Tagen bei mir liegen und die andere an den ungeraden Tagen."
So machten sie es. In der Kirche heiratete er die Karin und vor dem Standesamt die Helga.
Alle Männer aber, die bislang nur Augen für Karin oder Helga hatten, wandten sich enttäuscht ab, doch trösteten sie sich damit, nicht blind und behindert zu sein. Tim aber konnte sich jetzt in Ruhe seiner Malerei widmen und er schuf die schönsten, nein die lebhaftesten Nacktgemälde, die die Stadt je gesehen hatte und die man stets in aller Unschuld auch in der Öffentlichkeit ausstellte, denn schließlich habe der Maler nichts von alledem gesehen, als vor seinem unschuldigen inneren Auge. Oder?
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2 comments:
Was für eine wundervolle Geschichte. Spannend und dem Leser etwas vermittelnd was sonst so leicht übersehen wird. Wirklich schön Ray!
Ich finde die Geschichte auch super toll! Und du hast genau erkannt, was Frauen wirklich wollen. Spannend und schön :).
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