Saturday, November 24, 2007

Der Meister und sein Schüler

Der Meister und sein Schüler waren unterwegs. Nach und nach kaufte der Meister Kleinigkeiten ein, die der Schüler bereitwillig trug. Als sie mehrere Stunden unterwegs waren, wurde dem Schüler die Last der Pakete zu schwer, weil es zu viele geworden waren.

"Meister?"

"Ja."

"Meister, die Pakete sind sehr schwer, wann gehen wir zurück?"
Der Meister sah seinen Schüler nachdenklich an. "Ein Lehrer ist wie die Last des Lernens. Warum trägst du meine Pakete?"

"- Aus Dankbarkeit", erwiderte der Schüler zögernd.

Der Meister entgegnete, "du willst nützlich für mich sein, aber du hast nur eine Aufgabe - zu lernen. Was sollst du lernen?"

Der Schüler stellte irritiert die Pakete ab. "Aber ich helfe gern."

"Und warum sind dann die Pakete zu schwer?"

"Na ja, weil meine Kräfte erschöpft sind. Ich werde müde."

Der Meister nickte. "Ruh' dich aus."

Sie rasteten. Weil sie in eine ländliche Gegend gekommen waren, und es ruhig war, fiel der Schüler in Schlaf. Als er wieder aufwachte, sagte der Meister, "lass' uns heimgehen." Er stand auf und ging sofort los, ohne auf den Schüler zu warten.

Der Schüler wollte die Pakete aufheben, doch selbst die Kleinsten schienen zu schwer zu sein. Schließlich öffnete der Schüler ein Paket, um hineinzuschauen und fand einen Stein vor.

Empört lief er hinter dem Meister her.

"Meister, was spielt ihr mir für Streiche?"

Der Meister blieb stehen und schaute mit hochgezogenen Augenbrauen den Schüler an. "Warum hast du die Pakete nicht dabei?"

"Weil ihr mir einen Streich spielt. Es sind lauter Steine in den Paketen, da fand' ich es sinnlos, Steine zu schleppen und ließ die Pakete da."

"Das heißt, als die Last zu schwer wurde, wurde dein Vorsatz nützlich zu sein sinnlos?", stellte der Meister unbeteiligt fest.

"Aber es muss doch machbar sein!", protestierte der Schüler. Der Meister schwieg.

Ein Reh kam aus dem Waldrand auf die Wiese. Der Meister deutet dorthin. "Schau, trägt das Reh Lasten?"

"Es ist ein Tier", gab der Schüler zurück.

Der Meister nickte und zeigte auf die Hochsitze. "Es trägt seine eigene Last. Wolltest du ihm helfen, müsstest du zum Reh werden und wolltest du mir helfen, müsstest du mein Meister sein."

"Heißt das, das es falsch ist, zu helfen?"

"Nein, es heißt das es falsch ist Dinge für andere zu tun, wenn man Dinge für sich tun kann. Wäre es dein Anliegen Pakete zu tragen, hättest du Wege und Methoden für die schwersten Pakete und es würde dich freuen, wenn du sie trügst."

Der Schüler nickte. "Ich verstehe, ich will diese doofen Pakete nicht tragen."

Des Meisters Gesichtszüge verhärteten sich und wirkten unnahbar. Der Meister schwieg.

"Meister seid ihr mir jetzt böse?"

Der Meister schüttelte den Kopf. "Ich bin allein, alt und es ist niemand da, der mir hilft. Es ist gut."

Der Schüler war verwirrt. Ihn begann zu stören, das sein Meister ein alter schwacher Mann sein sollte. Warum dann von ihm lernen? Nach wie vor wollte er keine Steine schleppen. Da kam dem Schüler eine Idee. Er hatte bislang gerne von seinem Meister gelernt und der Meister wollte ihn auf die Probe stellen, soviel war klar. Also stellte er sich vor, es dem Meister gleich zu tun und alt und einsam zu sein. Er spürte die Last des Alters und der Routine, wie Tag auf Tag folgte und der Körper schwächer und schwächer zu werden schien. Er sah sich als Enkel auf den Knien seiner Großeltern sitzen. Sie waren am Ende ihres Lebens hilfsbedürftig gewesen.

Der Meister stand auf. "Du hast es begriffen. Nun komm' ."

"Und die Pakete?"

Doch der Meister ging bereits dem Sonnenuntergang entgegen.

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